Linsenkunst auf den Wiesbadener Fototagen

Insight - Willkommen in der Vielfalt der Kreativität

Ein Thema, vier Ausstellungsorte, sechsunddreißig Künstler - die Macher der Wiesbadener Fototage Reinhard Berg, Frank Deubel und Michaela Höllriegel hatten schon immer einen ganz besonderen Anspruch, den sie - soviel sei schon verraten - im Jubiläumsjahr noch übertroffen haben. Eine Werkschau von Fotografen für Fotografen und für ein dem Experiment aufgeschlossenes Publikum. Eine Auswahl an Künstlern und Bildern, in der die Fotografie und ihre unendlichen Ausdrucksformen im Mittelpunkt stehen und nicht das Dogma, wie denn Fotografie als Kunstform zu sein hat. Ein Thema, das die innere Welt der Fotografen als Reflexionspunkt der äußeren Erscheinungen in den Mittelpunkt stellt. Ein Programm, das die Nähe zwischen den Künstlern und dem Publikum zulässt. Die faszinierende Vielfalt einer brodelnden Kreativität, ohne den Makel der Beliebigkeit.

Nicht nur am Sonntag, aber auch am Sonntag: Für das Wiesbadener Fotofestival haben wir uns viel Zeit genommen. Ein Tag Pressepreview, die wundervolle und sehr gut besuchte Vernissage, und der Tag der Fotografengespräche mit ihrem tiefen Einblick in die Arbeitsweise der dort vertretenen Künstler. Kunst ist Kommunikation, und die Kommunikation zwischen den Kuratoren, den Sponsoren, den Künstlern und dem Publikum spielen bei diesem Fotofestival eine besondere Rolle. Und dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, wollen wir uns hier auf einen der vier Ausstellungsorte und eine Auswahl der dort gezeigten Künstler konzentrieren - die Wiesbadener Kunsthalle.

10. Wiesbadener Fototage

Insight

Ein Thema, vier Ausstellungsorte, sechsunddreißig Fotografen

Noch zu sehen bis zum 10.09.2017

Vernissage

Es ist heiß. Schwül und heiß. Voller Menschen, schwül und heiß. Von wegen zeitgenössische Fotografie interessiert nur eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft von Enthusiasten. Die Wiesbadener Kunsthalle, der Vorplatz und der Innenhof sind an diesem Sommerabend zur Vernissage voller Menschen. Ein Teil davon hört zu, wie Frank Deubel in einer Rede das Konzept der Ausstellung erläutert. Ein Teil ist vertieft in Diskussionen mit den anwesenden Künstlern. Trotz der oft schwierigen Themen und deren eindrücklicher Aufarbeitung durch die jeweiligen Fotografen ist die Stimmung heiter. Eine wunderbare Atmosphäre, um sich auf das Gezeigte einzulassen - ich höre ein helles Lachen und begebe mich von dem Vorplatz in die Kunsthalle.

Der Neubau der Ausstellungshalle der Wiesbadener Kunsthalle ist ein Kleinod. Hier ist alles auf die Präsentation der gezeigten Werke abgestimmt. Weder das Licht noch der fast schwarze Boden verfälschen den Farbeindruck der Fotografien - ein Problem, mit dem selbst große Häuser oft zu kämpfen haben. Der große Raum wird durch einen kleinen "Raum im Raum" strukturiert, in dem die kleinformatigen Arbeiten gezeigt werden. Etwas abseits sind filmische Kurzbeiträge der Künstler zu ihren Arbeiten auf einem Großbildschirm zu sehen.

Mir fällt sofort die gekonnte Lichtsetzung und die Luftigkeit der Hängung auf. Ich flüstere Brigitta zu: "Der Frank Deubel kann es halt. Man merkt, dass hier ein erfahrener Fotograf mit viel Einfühlungsvermögen am Werk ist". Es ist einer der seltenen Momente, in denen mir Brigitta voll und ganz zustimmt.

Künstlergespräche

Die Nacht war kurz, der Abend lang. Am Tag nach der Vernissage sind wir wieder vor Ort zu den Künstlergesprächen. OK, die Vernissage war gut besucht. Wirklich überrascht hat uns aber, dass die von Frank Deubel mit ruhiger Hand moderierten Künstlergespräche einen derartigen Zuspruch bei dem Publikum finden. Die bereit gestellten Stühle reichen bei weitem nicht aus, und so werden aus dem Innenhof noch Bänke akquiriert. Frank Deubel stellt sehr gut vorbereitet und mit viel Sachverstand und Einfühlungsvermögen die einzelnen Künstler vor, und gibt einen kurzen Einblick in die Entscheidungskriterien des Auswahl-Kuratoriums. Im Anschluss erhält der Künstler die Gelegenheit, sich und seine Arbeiten vorzustellen. Es folgt eine intensive Diskussion zwischen Publikum und den Künstlern.

Inszenierung und Dokumentation

Die Vielfalt der Ansätze und Ausarbeitungen ist beeindruckend: Die Selbstinszenierung in den Arbeiten von Katja Gerung leben von einer geheimnisvollen Ikonographie der darstellenden Akteurin in Beziehung zu Bühnen und Requisiten, die an antike Mythen denken lassen.  Nie theatralisch wirken, immer zum richtigen Zeitpunkt der Betrachtung gebrochen, und dadurch auf ein menschliches Maß zurück geworfen - wunderbar. Ich denke bei mir, diese Arbeiten machen mir eine große Freude und eine unbändige Lust, selbst einmal wieder gegenständlich zu arbeiten. Direkt daneben findet sich die dokumentarische Arbeit von Jakob Ganslmeier, der als Beobachter Bundeswehrsoldaten mit schweren posttraumatischen Erfahrungen nach ihrer Heimkehr von ihren Auslandseinsätzen zeigt.

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Katja Gerung

"ich wollte noch.. so viel von dir..."

Trennung, Verlust, Schmerz – biografische Krisen, die zum Leben dazugehören und die jeder Mensch kennt. Doch immer treffen sie mit Wucht und schlagen Schneisen in die Seele.

In meiner Serie „ich wollte noch.. so viel mit dir…“ versuche ich die Zeit danach ins Bild zu bringen. Um innere Verlassenheit zu visualisieren, sie zuzuspitzen und zu überhöhen, arbeite ich mit Kontrasten, schaffe Tische, Stühle und ähnliches auf einsame Felder oder wähle bizarre Räume mit besonderem Lichteinfall und Accessoires aus längst vergangenen Zeiten.

Katja Gerung, Wiesbadener Fototage

Jakob Ganslmeier

Trigger

Die Serie zeigt sieben Soldaten der Bundeswehr. Sie kommen aus ganz verschiedenen militärischen Bereichen – ein Elitesoldat, ein interkultureller Berater, eine Sanitäterin und ein Militärpfarrer sind darunter. Was diese Soldaten verbindet ist, dass sie bedingt durch Kriegseinsätze im Ausland, an posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) erkrankt sind.

Jakob Ganslmeier, Wiesbadener Fototage

Den ganzen Raum durcheilend und doch in Blickweite findet sich die geradezu karge und expressive S/W-Sequenz "Berührungsängste" von Linsenkunst-Mentor Bernd Donabauer, die den Blick, gerade umgekehrt zu Ganslmeier, auf eine posttraumatische Erfahrung von Innen nach Außen zeigt. Dem seitlich gegenüber tanzen und winden sich mit Lehm überzogene Körper, ebenso sequenziell ausgearbeitet und hochgradig inszeniert wie die Arbeit von Bernd Donabauer, jedoch im Gegensatz dazu von einer ungeheuren Opulenz und in einer  wunderbar stimmigen Komposition. In dieser nahezu monochromen Arbeit von Ulrich Heemann entstehen die Farben alleine in der Vorstellungskraft des Betrachters durch die Intensität der Körper, der Formen und Texturen. Ich bin tief beeindruckt und ich habe mein Lieblingsbild der Ausstellung gefunden. 

Bernd Donabauer

Berührungsängste

... Ich ertrage es nicht! Und dann, in einem Moment der Erkenntnis, wird mir klar wie ähnlich wir uns doch sind: Mit unseren unverstandenen Verwundungen, im Tasten nach Nähe, in unseren Berührungsängsten.

Bernd Donabauer, Wiesbadener Fototage

Ulrich Heemann

Im thematischen Fokus steht bei Heemann unzweifelhaft der Mensch, oft genug das eigene Selbst. Menschen interessieren ihn nicht nur in ihrer Schönheit oder im erotischen Reiz, sondern auch und vor allem in ihrer Fragilität und Hinfälligkeit, Hilflosigkeit und Vergänglichkeit...

Ulrich Heemann, Wiesbadener Fotototage

Das feine unsichtbare Netz

Im Kunsthaus werden zwölf der 36 Künstler und ihre ganz unterschiedlichen Arbeiten gezeigt. Und dennoch wäre es schade, wenn hier die hier gezeigten Arbeiten vom Betrachter jede für sich isoliert gesehen würden. Über den ganzen Raum hat Frank Deubel mit seinem Konzept ein unsichtbares und sehr feines Netz von Beziehungen geworfen. Inszenierung und Dokumentation, Ikonographie und Abstraktion, freie Blickachsen und Brechungen des Raumes, Unterschiede und Gemeinsamkeiten: Es macht eine unbändige Freude, sich an den Fäden des Netzes entlang zu bewegen, die verbindenden Knoten zu ertasten.

Auf keinen Fall verpassen sollte der Besucher die anderen drei  fußläufig zu erreichenden Ausstellungsorte mit ihren ganz eigenen Eindrücken, ganz eigenen Bilderwelten, ihrem ganz eigenen von den Kuratoren gesponnenen unsichtbarem Netz.

Credits

Autor: Bernd Donabauer

Bild- und Filmquellen von oben nach unten:

Beitragsbild: Bernd Donabauer

Wiesbadener Fototage: Ausstellungsplakat, Wiesbaden 2017

Bernd Donabauer: Vernissage, Wiesbaden 2017

Bernd Donabauer: Elevator Pitch Wiesbadener Fototage, Wiesbaden 1017

Brigitta Fiesel: Wiesbaden, 2017

Bernd Donabauer: In der Tiefe des Raumes, Wiesbaden 2017

Brigitta Fiesel: Wiesbaden 2017

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Zwischen RAY in Frankfurt und den Fototagen in Darmstadt: Das Wiesbadener Fotofestival hat eine eigene, unverwechselbare und erfrischende Handschrift

 

Eine Werkschau, die alle Facetten der zeitgenössischen Fotografie zeigt. Fein inszeniert von Fotografen für Fotografen und für ein Publikum, dass die experimentelle Vielfalt liebt

 

Unbedingt die letzte Chance an diesem Wochenende nutzen!

 

Für die Anreise

Rund um die Ausstellungsorte gibt es zahlreiche Parkhäuser

Karten

Die Eintrittskarte ist frei

Für Fotografen

Das fotografieren ohne Stativ ist erlaubt

Medien

Der Ausstellungskatalog verschafft einen guten Überblick

Nach der Ausstellung

Die wiesbadener Innenstadt lockt -  hier gibt es in zahlreichen Cafés und Bistros alles was das Herz begehrt

Wiesbadener Fototage

Ministerium für Wissenschaft und Kunst - Rheinstraße 23-25

SV SparkassenVersicherung - Bahnhofstraße 69

Kunsthaus Wiesbaden - Schulberg 10

frauen museum wiesbaden - Wörthstraße 5

www.wiesbadener-fototage.de/ →

Öffnungszeiten

vom 26.8 bis 10.9. 2017

Öffnungszeiten jeweils am Wochenende:

Fr. Sa. und So. von 13 bis 18 Uhr

Alle Angaben ohne Gewähr

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Vertiefung in die gestische Fotografie

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