Dem Licht entgegen
Hinauf, hinauf, dem Licht entgegen. Wir sind heute zeitig unterwegs, um die Kühle des Morgens zu genießen. Zunächst am Meer entlang auf der Küstenstraße in Richtung Süden. Vorbei an den Sonnenschirmen, die etwas verschlafen am Strand stehen. Um diese Zeit haben sich noch nicht viele Menschen hierher verirrt.
Hinter Kolymbia zweigt eine kleine Straße ab, die ganz harmlos im Morgenlicht liegt. Sie steigt zunächst ganz sachte an, um sich kurze Zeit später in steilen Serpentinen den Berg hinauf zu schlängeln. Mit Schwung fahren wir dem Licht entgegen zum Kloster Tsambika.
Die Legende besagt, dass Fischer eine wertvolle Ikone der Jungfrau Maria am Strand gefunden haben. Zur gleichen Zeit ist eben jene Ikone auf unerklärliche Weiße aus einem Kloster auf Zypern verschwunden und so brachten sie die gottesfürchtigen Männer dorthin zurück. Wie durch ein Wunder fanden die Fischer die Ikone am kommenden Tag von kleinen Wellen umspült erneut am Strand.
Durch die Ikone sprach die Jungfrau zu den Fischern: „Baut mir eine Kirche auf dem Berg“.
Doch der Weg hinauf war steil und die Menschen schwach und so beschlossen sie, dass es sicher genügen würde, eine Kirche im Tal zu errichten. So entstand durch viele Hände fleißige Arbeit die Kirche im Tal mit dem Namen Kato „unten“ Tsambika. Die Kirche wurde gesegnet und die Ikone fand ihren Platz darin, doch am nächsten Morgen war sie verschwunden und wurde nach aufgeregter Suche auf dem Berg gefunden.
Erneut sprach die Ikone zu den Fischern: „Baut mir eine Kirche auf dem Berg“.
Nun sahen es die Männer ein, dass mit der heiligen Jungfrau kein Handel zu machen ist. Da der Weg so steil war und alles was für den Bau benötigt wurde hinauf geschafft werden musste, mussten auch die kinderlosen Frauen die mühsame Arbeit verrichten.
War es ein Wunder, war es die Freude ein gottgefälliges Werk zu tun? Nach der Vollendung der Kirche - so wird es erzählt - waren alle Frauen schwanger. Und so pilgern bis heute die Frauen von Rhodos mit Kinderwunsch zur heiligen Jungfrau. Wird danach ein Mädchen geboren, nennt man es Tsambika. Erblickt ein Junge das Licht der Welt, erhält er den Namen Tsambikos.
Wir sind angekommen. Nein, nicht am Kloster der heiligen Jungfrau Maria, aber doch am Einstig zu den 301 Stufen, die zum Gipfel führen. Ein fröhlich grüßender Jogger, der uns im raschen Lauf den Berg hinab entgegen kommt, sorgt für einen surrealen Moment und ermutigt uns die Stufen unverzagt anzugehen.
Dem Himmel so nah
Im Schatten der uralten Bäume, deren knorrigen Wurzeln an manchen Stellen mit dem Fels verwachsen scheinen, geht es nun das letzte Stück des Weges zu Fuß hinauf. Hinter so mancher Wegkehre öffnet sich der Wald und gibt den Blick frei, einmal über den Strand von Tsambika, dann wieder über die Buchten von Kolymbia und Tsambika.
Im stetigen Wechsel zwischen Nähe und Ferne, im Spiel zwischen Schatten und früher Morgensonne, entfalten sich vor unseren Augen wundervolle Motive.
Vertieft in den Augenblick vergeht die Zeit und nach einer letzten Wendung des Weges sind wir am Ziel angelangt. Die Welt erstrahlt im Licht und löst sich auf im tiefen Blau des Himmels und des Meeres. Ich kann die Jungfrau verstehen, dass sie beharrlich auf eine Heimstadt dem Himmel so nah bestanden hat.
Hinab ist es immer einfacher. Schnellen Schrittes nähern wir uns der Taverne am Fuß des Weges. Aus dem Innern erklingt die laute Stimme des Wirts. Wie so oft ist er in eine hitzige Diskussion verwickelt. Wie so oft kann keiner die Wahrheit sehen, die ihm doch so klar und eindeutig erscheint. Über die Felsen springen seine Ziegen, die ihm ohne Widerspruch zur Seite stehen. Wir haben uns einen Frappé verdient.
Zwischen hohen Mauern
Zurück im Hotel Esperos Village verstreichen über den Mittag Stunden der Muße. Während einige von uns die Zeit nutzen, um die Bilder des Tages zu sichten, erfrischen sich die anderen an der Poolbar.
Wir haben heute noch viel vor. Uns erwarten hohe Mauern und gotische Bögen, verwinkelte Gassen und lebhafte Plätze, kontemplative fotografische Momente und experimentelle Fotografie, ein Abend in der Altstadt von Rhodos.
Da liegen sie in der Abendsonne, die Mauern von Rhodos-Stadt. Wer sich der Altstadt von Rhodos vom südlichen Tor her nähert, kann gut verstehen warum die Festung unzähligen Angriffen stand gehalten hat. Unüberwindlich erscheint der Burggraben, uneinnehmbar die mit Zinnen bewerte Mauer, undurchdringlich das Tor zur Stadt. Über sechs Monate tobte im Jahr 1522 der Kampf um die Mauern der Stadt. Auf der einen Seite die aus allen Teilen Europas stammenden Ritter des Johanniterordens, auf der anderen Seite das mächtige Heer des osmanischen Sultans mit seinen 300 Schiffen. Am Ende obsiegten die Osmanen.
Vergangene Zeiten, vergangene Schlachten, Fantasien von Macht und Herrschaft, flüchtig wie Rauch im Wind.
Heute empfängt uns die Altstadt von Rhodos abseits der Hauptstraße mit freundlichen Rhodiern. Wir schlendern durch die schmalen Gassen, über die weiten Plätze und erfrischen uns in einem der unzähligen kleinen Cafénions mit einem kühlen Getränk und intensiven Gesprächen über unsere fotografischen Eindrücke.
Die Lichter der Nacht
Die tief stehende Abendsonne verwandelt die Steine der Mauern in pures Gold...
...um im nächsten Moment im Schatten zu versinken.
So vergeht die Zeit bis zur Dunkelheit. Nun erstrahlen um uns herum die Lichter der Nacht.
Die blaue Stunde ist längst vorüber. Leise plätschern kleine Wellen am Kai. Nächtliche Kühle steigt vom Wasser auf. Wir sind zum Mandraki-Hafen geschlendert. Die stolzen Mauern der Altstadt von Rhodos wärmen uns. Dort der Trubel der Stadt, hier die menschenleere Ruhe des Abends. Von der Hafenbastion aus haben wir einen wunderbaren Blick auf die Lichter von Mandraki. Brigitta steht am Tor "Schmiere", damit uns niemand einschließt. Es ist Zeit für ein fotografisches Experiment. Wir wandeln auf den Spuren von Jackson Pollock und lassen in wilden Bewegungen, Lachen und Schreien unseren Gefühlen freien Lauf. Die Lichter des Hafens zeichnen ihre Spuren in die schwärze der Nacht – Action Fotografie fragt nicht nach Verstand, sie ist Ausdruck des Gefühls.
Hui hier ist was los! Nachdem wir unseren Weg zurück in die Altstadt gefunden und in einer kleinen Taverne etwas gegessen haben, stehen wir nun auf der Treppe am Hyppokrates-Platz.
Der Blick schweift umher, und verirrt sich in den Fluchten der umliegenden Straßen. Ein Abend voller aufregender Eindrücke und neuer Gedanken, voller Licht und Farben, lebhaften und stillen Momenten, neigt sich seinem Ende entgegen.
Wie sich Gerüche, Geräusche, Licht und Farben zu einzigartigen Bildern vermengen und was es in einem kleinen Dorf zu entdecken gibt, erfahrt ihr im vorerst letzten Werkstatbericht unserer Kreativreise.
Credits
Autor des Beitrags: Bernd Donabauer
Bilderquellen von oben nach unten:
Bernd Donabauer, Hinauf auf den Berg, Rhodos 2015
Bernd Donabauer, Dem Himmel so nah, Rhodos 2009
Bernd Donabauer, Poseidon und Amphitrite, Rhodos 2009
Brigitta Fiesel, Rhodos 2015
Bernd Donabauer, Brigitta, Rhodos, 2015
Brigitta Fiesel, Rhodos IV, Rhodos 2015
Bernd Donabauer, Wie Rauch im Wind, Rhodos 2015
Brigitta Fiesel, Zwischen Okzident und Orient, Rhodos 2015
Brigitta Fiesel, Das goldene Tor, Rhodos 2015
Betty Schmidt, Rhodos 2015
Bernd Donabauer, Rhodos bei Nacht, Rhodos 2009
Bernd Donabuer, Strings // 01, Rhodos 2015
Bernd Donabauer, Auf der Treppe, Rhodos 2009
Brigitta Fiesel, Rhodos 2015
Beitragsbild: Brigitta Fiesel, Rhodos IV, Rhodos 2015