Eine bittersüße Rhodos-Erzählung

Zerbrochene Träume bei Tageslicht

"If you're not wet, you're not sailing!"
Steve der Skipper der Viking, lachte. Er begrüßt mich mit diesen Worten und ich pflege sie zum Abschied zu sagen. Rituale unter alten Freunden.

"Wie geht es dir? Wie war die Reise? Wie lange bleibst du auf der Insel?"

Das Glitzern in seinen Augen verrät, dass es ein guter Segeltag mit starkem und beständigem Wind war. Das Glitzern der See, der Sonne und der Schaumkronen auf den Wellen. Das Glitzern des Meltemi, jenes starken und beständigen Windes, der die Viking an guten Tagen steil in die Wellen legt. Das Glitzern in Steves Augen geben diesem gedrungenen Mann, der zweifellos die 60 schon weit überschritten hat, ein unbestimmtes Alter. Für Steve war das Segeln nie ein Beruf, es war seine Passion.

Bei einem Glas Wein unterhalten wir uns an diesem Abend an Deck der Viking im Mandraki-Hafen eine Weile über den Wind und die Wellen, über die Hitze im August und die erfrischende Kühle des Septembers und - natürlich - die Anmut der Frauen. Die Musik aus den Tavernen weht herüber, die Lichter des Hafens glitzern auf kleinen Wellen und die Viking wiegt uns in sanften Bewegungen. Dann fragt Steve nach meinen neuen Bildern. Ich erzähle ihm von dem alten Schiff auf der Baustelle des neuen Werfthafen.

"Was bleibt, wenn die Nacht vorüber ist und du alle deine Träume verwirklicht hast?"

Steve wiederholt seine Frage und an dem Tonfall seiner Stimme merke ich, dass er eine überlegte Antwort von mir erwartet. Und so schwiegen wir eine Weile, während ich überlege. Dann antwortete ich: "Nun, dass kommt wohl auf den Mann an. Der Weise wird darauf achten, seine Träume nie zu verwirklichen. Der Kluge wird lernen, in Zufriedenheit zu leben und der Dumme wird nichts haben, außer zerbrochene Träume bei Tageslicht."

Steve legt den Kopf auf die Seite und schaut mich an. Offenbar eine gute Antwort.

"Ich will dir die Geschichte des Schiffes erzählen, das du heute fotografiert hast..."

Vor vielen Jahren kam als junger Mann, keine 18 Jahre alt, ein Norweger mit seinen Eltern nach Rhodos. Der Tourismus war kaum entwickelt und für das Wort Urlaub wurde noch das Wort Reise benutzt. Aber Steve und die Viking waren schon im Mandraki-Hafen und die Familie buchte das Schiff und seinen Skipper für einen Tagesausflug. Der Wind war für die Jahreszeit ungewöhnlich stark und so schoss die Viking unter vollen Segeln über die Wellen. Den Eltern bekam die wilde Fahrt weniger und die Mutter hatte heftig mit Seekrankheit zu kämpfen. Aber der Junge hatte nach wenigen Minuten dieses Glitzern in den Augen, an dem man jene erkennt, die von dem Meer und dem Wind in der Seele berührt wurden. Am Abend, zurück im Hafen, sagte er zum Abschied: "In einigen Jahren werde ich zurück kommen und ein Schiff schöner und größer als die Viking bauen."

Zehn Jahre später kam der Norweger nach Rhodos zurück. Er hatte viel Geld als Arbeiter auf einer Ölplattform verdient und von dem Geld gab er einen stolzen Zweimaster in Auftrag. Das Beste an Holz und Messing, an Tauen und Segelstoff waren ihm gerade gut genug dafür. Der Norweger, längst eine Legende auf der Insel, war jeden Tag auf der Werft und nach drei Jahren Bauzeit lief das Schiff an einem wunderbar sonnigen Tag im Frühjahr vom Stapel.

Doch schon nach einigen Wochen verlor der Norweger die Lust an dem Schiff und kehrte in seine Heimat zurück. Als die Hafengebühren ausblieben wurde das Schiff auf den Strand geschleppt und notdürftig gesichert. Dabei kam es zu einem Zwischenfall, Planken brachen und so wurde das Schiff wie ein verwundeter Wal am Ufer zurück gelassen. Brauchbares fand seine Abnehmer und Wind und Wetter taten ihr Übriges.

Steves Geschichte, Wahrheit oder frei erfunden, endete hier. Wir saßen uns schweigend gegenüber und so vergeht einige Zeit. Noch immer weht die Musik der Tavernen herüber, glitzern die Lichter des Hafens auf kleinen Wellen und die Viking wiegt uns in sanften Bewegungen.

"Wie lange baust du schon an deinem neuen Schiff?" fragte ich Steve, obwohl ich die Antwort bereits kannte.

"Seit zwanzig Jahren, aber nächstes Jahr, nächstes Jahr werde ich bestimmt fertig!" antwortet Steve lachend.

Epilog

Das Schiff in all der Schönheit seiner Nutzlosigkeit gibt es nicht mehr. Es wurde vor der Eröffnung des neuen Werfthafens endgültig abgewrackt. Seine Planken wanderten in die Holzöfen der Werftarbeiter und erwärmten deren Körper und Träume in kalten Winternächten.

Steve ist 2016 verstorben. Bis zuletzt hat er, wie all die Jahre zuvor, an seinem eigenen neuen Schiff gearbeitet. Er hat den Stapellauf nicht mehr erlebt. Seine beiden Söhne sind nun die Skipper der Viking und des neuen Schiffes. Beiden liegen nebeneinander im Mandraki-Hafen auf der Höhe der Bushaltestelle.

Manchmal, wenn ich im unendlichen Blau zwischen Himmel und Meer am Horizont ein weißes Segel sehe, scheint es mir, als ob ich im Wind eine Stimme höre, die mir leise  zuflüstert: "If you're not wet, you're not sailing!"

Bildquelle: Bernd Donabauer, Sequenz / Broken Dreams by Daylight, Rhodos 2007-2009.

Autor: Bernd Donabauer

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