Linsenkunst trifft Andreas Gursky

Birgitta Fiesel, "Andreas Gursky", Baden-Baden, 2015.

25.11.2016

Du siehst, dass Du nichts siehst

In diesem Beitrag waren ursprünglich von Herrn Prof. Gursky im Rahmen der Ausstellung legitimierte Bilder seiner Werke zu sehen, auf die unsere Autorin Brigitta in ihrem Text Bezug genommen hat. Sicher, die Bilder in Bildschirmgröße können nur einen vagen Eindruck über die Wirkkraft der Originalwerke vermitteln. Dennoch finde ich es als Redakteur des Blogs "Frische Linsenkunst" sehr schade, dass wir von Herrn Prof. Gursky vertraglich dazu verpflichtet wurden, die Bilder nach einem Jahr aus unserem redaktionellen Blog-Beitrag zu löschen.

Liebe Grüße

Bernd Donabauer

Chefredakeur

Andreas Gursky

– etwas profan kommt der Titel für die Einzelausstellung, die das Museum Frieder Burda in Baden-Baden aktuell zeigt, daher. Es regnet gar fürchterlich an diesem Nachmittag, umso mehr lädt die vom Licht durchbrochene Fassade des Museums zum Besuch der Ausstellung ein. Es ist mein zweites Treffen mit dem Großmeister der Fotografie – Bei Andreas Gursky ist das im doppelten Sinn gültig.

Brigitta Fiesel, o.T., Baden-Baden, 2015.

Ich betrete den vom international renommierten Architekten Richard Meier entworfenen Museumsbau und freue mich wie stets an seinen klaren Formen, der geschickten Raumaufteilung und den vielen spannenden Durchblicken, die die Ebenen miteinander visuell verbinden. Und wie stets werde ich von den Mitarbeitern des Museums freundlich empfangen.

NN, Außenansicht, zur Verfügung gestellt vom Museum Frieda Burda, Baden-Baden, 2015.

Von Helden und Menschen

Schnell noch meine Eintrittskarte gelöst, schon tauche ich ein in das visuelle Erlebnis der Ausstellung und werde gleich zu Beginn von zwei neuen Bildern überrascht:

Links „SH IV“, ein ganz klassisches Gursky-Bild, bei dem die Fassaden der beiden Hochhäuser in ihrer Aufteilung ins schier Endlose zu streben scheinen. Nur steht da Spiderman gleich zweimal, einmal als Marvel-Held und einmal - im Schaufenster – als sein altes Ego Tobey Maguire. Clean, stylisch und aufgeräumt, der Superheld im Schaufenster und der auf der Straße, so fügen sich alle Bildteile zusammen.

Das rechte Bild jedoch hat eine ganz andere Anmutung, es scheint gemalt zu sein. „Rückblick" zeigt augenscheinlich Angela Merkel, Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Helmut Schmidt, alle vier sind von hinten sitzend vor einem großen roten Bild zu sehen. Sofort finde ich mich in der Rolle der "Beobachterin der Beobachter" wieder, eine Perspektive auf die Macht und die Machtlosigkeit, die mir sehr gut gefällt. Kurz vor meinem Besuchstag ist Helmut Schmidt verstorben, so dass ich sinnierend eine Weile auf das Rauchwölkchen schaue, welches über das Bild weht, und über diesen beeindruckenden Menschen nachdenke - um mich dann über die durchdachte Bildaufteilung zu freuen.

NN, Instalationsansicht, zur Verfügung gestellt vom Museum Frieda Burda, Baden-Baden, 2015.

Manche Bilder sind wie gute Freunde

Gleich um die Ecke treffe ich auf einen lieben alten Bekannten, der mich seinerzeit schon in der Gursky-Ausstellung im Museum Kunstpalast fasziniert hat. „Frankfurt“ zeigt die große Anzeigentafel der Abflughalle des Frankfurter Flughafens. Oder doch nicht? Ich bin oft am Rhein-Main-Airport, und obwohl ich eigentlich weiß, wie diese Tafel ausschaut, würde meine Wahrnehmung das Bild glauben – wenn da nicht die Terminals 3,4,5,… in der blauen Leiste fabuliert wären. Trotz oder gerade wegen dieser Entlarvung macht mir das Bild und sein Spiel mit der Realität und dem Konstrukt der Realität wieder enormen Spaß.

NN, Instalationsansicht, zur Verfügung gestellt vom Museum Frieda Burda, Baden-Baden, 2015.

Überhaupt habe ich mit den Bilder von Andreas Gursky auf sehr persönliche Art und Weise viel Freude: erinnern sie mich doch an die Wimmel- und Suchbilder von Ali Mitgutsch, dessen Bilderbücher eine feste Größe meiner Kindheit waren. Genau wie damals beschäftige ich mich gerne mit den Details, suche nach interessanten Einzelheiten, versuche hinter die Wirkung der Verdichtung zu kommen, entdecke ab und an auch einen Punkt, der in der Retusche z.B. perspektivisch nicht richtig ist, um dann wieder mit Abstand das Bild in seiner enormen Größe auf mich wirken zu lassen – was kümmern da schon Details!

Nicht zuletzt zeichnet das visuelle Erleben von Gurskys Werken aus, dass sie, je nach Betrachtungsabstand, immer wieder neue, faszinierende und enorm verdichtete Seheindrücke bei dem Betrachter hinterlassen. Letztlich verweigern sich Gurskys Bilder dem kleinen Format eines Bildschirms. Sie fordern die Weite des Raums, die Begegnung aus den unterschiedlichsten Entfernungen, geradezu das "Erwandern" der Eindrücke durch den Betrachter.

Ursprünglich zu sehendes und aufgrund vertraglicher Auflagen entferntes Bild: Andreas Gursky, Pyongyang I, 2007 © Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Courtesy Sprüth Magers.

Hinauf und hinein

Über die Rampe geht es hinauf in die weiteren Etagen. Neben dem sehr bekannten „Paris, Montparnasse“, welches mich immer an einen Setzkasten erinnert und den Voyeur in mir zum Vorschein bringt, der neugierig in die Fenster schaut und den Leuten beim Wohnen zusieht, und dem millionenteuren „99 cent“...

Ursprünglich zu sehendes und aufgrund vertraglicher Auflagen entferntes Bild: Andreas Gursky, Paris, Montparnasse, 1993 © Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Courtesy Sprüth Magers.

 ...zieht mich „Nha Trang“ in seinen Bann. Hatten die vier Kanzler in ihrem tatenlosen Zusehen viel Platz auf ihrem Bild, drängen sich hier Frauen in einer Fabrik für Korbwaren wie geschäftige Bienen um ihre Arbeit. Das Bild ist in Felder aufgeteilt, die durch an der Decke hängende Stromleitungen gebildet werden, die auch gleichzeitig die Schnittlinien der Bildmontage sind. Eine Interessante Verkrümmung der Perspektive bereichert die Metaphorik dieses Bilds, an der ich gedanklich sehr lange verweile.

Ursprünglich zu sehendes und aufgrund vertraglicher Auflagen entferntes Bild: Andreas Gursky, Nha Trang, 2004 © Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Courtesy Sprüth Magers.

 Liebeleien

Bei jedem Ausstellungsbesuch überlege ich mir, welches Bild meine Liebelei ist, welches ich mit nach Hause nehmen würde, wenn ich es könnte. Diesmal ist es „Lager“, das ich noch nicht kenne, aber beim ersten Blick sofort als das Bild meiner Wahl küre. Es ist vielschichtig, Licht und Dunkelheit sind harmonisch verteilt, es hat eine enorme Tiefe, ich kann mich in Details verlieren und nicht zuletzt hat es eine ordentliche Portion Humor: Gursky zitiert Gursky.

Ursprünglich zu sehendes und aufgrund vertraglicher Auflagen entferntes Bild: Andreas Gursky, Lager, 2014 © Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Courtesy Sprüth Magers.

Ich fange an, diese Zitate näher unter die Lupe zu nehmen: ist der zitierte Streifen von „Frankfurt“, der da grad so besonders passend geschnitten scheint, wirklich ein realer Streifen aus dem Bild? Ich husche schnell zwei Etagen tiefer um nachzusehen. Nein, es ist kein realer Streifen, hier hat Gursky sein verdichtetes Bild nochmal nachverdichtet. Noch zweimal laufe ich durchs Haus und versuche, mir die Bilddetails einzuprägen. Mal scheint es zu passen, mal ist die Realität im Rahmen der Glaubwürdigkeit noch ein bisschen mehr gedehnt worden.  Ich werde die Assoziation nicht los, ich denke an „Die Blankovollmacht“ von René Magritte.

Mit „Lager“ beschließe ich meinen Besuch in Baden-Baden, ich mag zumindest die Erinnerung mit nach Hause nehmen, wenn schon das Original als Liebelei am Platz bleiben muss.

Linsenkunst empfiehlt

Size matters!

Für Gursky ist ein Besuch im Museum Pflicht. Seine Bilder muss man in ihrer Originalgröße gesehen haben, um sie erfahren zu können.

Das Museum Frieder Burda zeigt einen gelungenen Querschnitt durch das Werk von Andreas Gursky. Ausstellung und Museum sind eine Reise wert.

 

Für die Anreise

Die Tiefgarage „Kongresshausgarage“ (den Beschilderungen Richtung brauner Parksektor folgen) liegt in unmittelbarer Nähe zum Museum. Zu Fuß geht es ein paar Schritte durch den Kurpark.

 

Karten

Die Eintrittskarte für die Ausstellung „Andreas Gursky“ kostet für Erwachsene 12 Euro. Für 15 Euro erhält man das Kombiticket, mit dem man sowohl das Museum Frieder Burda als auch die Kunsthalle Baden-Baden besuchen kann.

 

Für Fotografen

Die normalerweise im Museum Frieder Burda geltende Fotografiererlaubnis ist in dieser Ausstellung ausgesetzt. Ausgenommen davon ist die Eingangshalle.

 

Nach der Ausstellung

Wer noch Zeit hat geht in die angrenzende Kunsthalle Baden-Baden und schaut sich die Ausstellung „Li Songsong – Geschichte als Material“ an, für deren Bilder ebenfalls das Prinzip „viele kleine Bilder ergeben ein großes Ganzes“ gilt, und die damit hervorragende zur Gursky-Ausstellung passt.

Die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden hat ein nettes Café, das auch vom Museum Frieder Burda aus trockenen Fußes zu erreichen ist. Bei kleinen Gerichten und großen Kuchenstücken sitzt man hier schön und kann die Ausstellungen reflektieren oder in einem der café-eigenen Ausstellungskataloge schmökern.

 

In eigener Sache

Den vertraglichen Vorgaben folgend, müssen alle zur Verfügung gestellten Fotografien der Bilder von Andreas Gursky nach einem Jahr der Veröffentlichung gelöscht werden und stehen entsprechend im Artikel-Archiv ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Verfügung. Diesen Trend der zeitlichen Begrenzung der Nutzung im Rahmen redaktioneller Beiträge sehen wir mit großer Sorge. Umso mehr möchten wir uns bei den Mitarbeitern der Pressestelle des Museums, die diese Reportage erst möglich gemacht haben, für ihre Unterstützung bedanken.

 

Museum Frieder Burda

Lichtentaler Allee 8 b
76530 Baden-Baden
T +49 7221 39898-0
www.museum-frieder-burda.de

 

Öffnungszeiten

Montag geschlossen
Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr
Feiertags (auch Montag) geöffnet
24.12. und 31.12. geschlossen

Autorin: Brigitta Fiesel

 

Hintergrundbild und Beitragsbild: Birgitta Fiesel, "Andreas Gursky", Baden-Baden, 2015.

In eigener Sache

Helau und Halleluja Spezial

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