"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt, und der uns hilft zu leben."
Hermann Hesse, Stufen.
Der frühe Morgen atmet ruhig das Licht des Südens ein und aus. Die Frische der Nacht schwebt noch zwischen allen Dingen. Ein Zaunkönig huscht emsig suchend durch die Büsche. Auch wenn man mir nachsagt, eher eine Nachtigall denn eine Lerche zu sein, so liebe ich doch den frühen Morgen mit seiner erwartungsvollen Stille und dem gelassenen Erwarten der Dinge. Und was haben wir erlebt in den letzten Tage an anstrengenden, aufregenden, anrührenden, nachdenklichen und wunderbar kreativen Momenten.
Heute ist nun der Tag, an dem wir uns Zeit gönnen im Erlebten anzukommen, damit sich die frisch geborenen Ideen entwickeln und wir uns in den Bildern, die entstanden sind, gemeinsam lustvoll verlieren können. Gedankenverloren sitze ich vor dem Haupthaus des Esperos Village und freue mich auf das Frühstück mit den Linsenkünstlern und Brigitta und auf das, was der Tag erst bringen wird.
Ena Frapeé metrio choris gála
Unter den kühlen Arkaden am Pool lässt es sich aushalten und ich genieße einen Frapeé mit ein wenig Zucker ohne Milch. Am Nachbartisch diskutiert Brigitta mit den Linsenkünstlern eine Auswahl der in den letzten Tagen entstandenen Bilder: Ein möglicher Bildschnitt, der die Elemente der Komposition verdichtet und ins rechte Verhältnis setzt, Farbverteilungen, eine besonders schöne Lichtwirkung, Texturen und Schärfeverläufe, die semiotische Bedeutung der Objekte, und mögliche Veredlungsschritte in der digitalen Dunkelkammer.
Mal klingen die Stimmen am Nachbartisch aufgeregt, mal ruhig und intensiv, immer wieder unterbrochen von einem Ah und Oh, leisem Kichern oder einem lauten Lachen. Von der Bar weht der sanfte Wind die Musik von Ane Brun herüber. Die Stimmen, das Lachen und die Musik verweben sich zu einem ganz eigenen Rhythmus und ich fühle mich so entspannt wie der Kater, der sich wenige Schritte entfernt in der warmen Sonne räkelt, wohl wissend, dass unsere Linsenkünstler bei Brigitta in den besten Händen sind.
[expand title="Quelle"]Ane Brun, Feeling Good. Erhältlich unter: https://www.youtube.com/watch?v=v7VkjueIMdU. Stand: 29.12.2015.[/expand]
Ein weißes Segel am Horizont
Am frühen Nachmittag wechseln wir die Plätze und stärken uns mit einem Essen á la Carte. In inspirierenden Gesprächen geht es um Themen der Motivfindung, der Bedeutung von Schatten, der Textur einer Oberfläche oder einfach nur um eine der kleinen Geschichten, die wir in den letzten Tagen erlebt haben. Das Wasser des Pools schlägt kleine glitzernde Wellen und in der Bucht von Faliraki ist das weiße Segel eines Schiffes zu sehen, das den Blick mit sich in die Ferne zieht.
Du hast mir doch einen Olivenbaum versprochen
So verstreicht die Zeit, bis wir bei einem starken griechischen Kaffee im Gespräch auf die fotografischen Möglichkeiten der nächsten Tage angekommen sind, und unsere Linsenkünstlerin Betty auf einmal ganz aufgeregt ruft: "Bernd, du hast mir doch noch einen Olivenbaum im Abendlicht versprochen". Oh ja, das habe ich, und Versprechen muss man halten.
Also in aller Ruhe die Kameras geholt und mit Betty auf dem weitläufigen Gelände des Hotels in Richtung Ausgang gefahren. Dort wartet schon die Wachfrau mit einem freundlichen Lächeln und wir wechseln, wie es sich in Griechenland als Zeichen des gegenseitigen Respekts nun einmal gehört, einige Worte über die Leichtigkeit des Seins. Es geht nur wenige Minuten in Richtung Koskinou, hinauf auf einer gewundenen Serpentine. Wir sind etwas früh und so ergibt sich die Gelegenheit, die Macchie zu erkunden, die sich nach dem Gewitterregen der letzten Woche nicht in herbstlichen Gold sondern in ungewohnt strahlendem Grün und dem Weiß und Blau der mit Regenwasser gefüllten Karstlöcher präsentiert.
Die Farben des Lichts
Nachdem die Sonne sich auf ihrer Reise dem Horizont nähert, ist es an der Zeit, den Ort zu verlassen und weiter in Richtung Koskinou zu fahren. Hier gibt es, direkt an der Straße gelegen, aber für einen Fotografen einfach mit wunderbaren Voraussetzungen versehen, einen kleinen Olivenhain, an dem der Ortsunkundige sicher ungesehen vorbei fährt. Der lichte Hain liegt genau in Nord-Süd-Richtung, die Abendsonne fällt im rechtem Winkel zum Standort der Linsenkünstler auf ihn, etwa 2 Meter unterhalb der Straße und da er nicht mehr bewirtschaftet wird, steht zwischen den Bäumen Hüfthoch das golden schimmernde Gras des Spätsommers.
So verbringen wir die Zeit abwechselnd fotografierend und sitzend auf einer kleinen Mauer im Schatten der Bäume auf der anderen Straßenseite, wartend auf den Lauf des Lichts, in ruhigen Gesprächen über die Möglichkeiten der gestischen Fotografie. Es braucht Gelassenheit um die ewige Metamorphose von Raum, Zeit und Licht zu erfahren...
...und als die Sonne ihre letzten, rotgoldenen Farben auf den Hain wirft, wenden wir uns noch einmal für ein letztes kreatives Experiment den Olivenbäumen zu, bevor in einem kurzen Augenblick der Ewigkeit die Farben im Schatten verschwinden.
Spiel es noch einmal
Während sich unsere Linsenkünstler nach dem - wie all die Tage vorzüglichem und ausgiebigen - Abendessen müde und zufrieden in ihre Häuschen zurück ziehen, ist es Brigitta und mir heute noch nach einem Drink an der Poolbar. Dort werden wir überrascht von einem ausgezeichneten Quartett, das Klassiker des Jazz interpretiert.
[expand title="Quelle"]Ella Fitzgerald, Cry me a River. Erhältlich unter: https://www.youtube.com/watch?v=2Gn9A-kdsRo. Stand: 29.12.2015.[/expand]
Und so endet das Intermezzo unserer fotofantastischen Reise, während der Bassmann im Halbdunkeln der Band den Rhythmus vorgibt.
Was wir als Linsenkünstler in höchsten Höhen und zwischen festen Mauern erleben, erfahrt ihr in unserem nächsten Werkstattbericht.
Bildquellen, beginnend vom Seitenanfang: Bernd Donabauer, Am Morgen, Rhodos 2015. Bernd Donabauer, Arkaden, Rhodos 2015. Brigitta Fiesel, Pool, Rhodos 2015. Bernd Donabauer, 50 Miles per Hour / Countryside / 02, Rhodos 2009. Bernd Donabauer, Macchie nach dem Regen, Rhodos 2015. Bernd Donabauer, Olivenhain / 01, Rhodos 2009. Betty Schmidt, Olivenbaum / 02, Rhodos 2015. Bernd Donabauer, Olivenhain / 02, Rhodos 2015. Bernd Donabauer, Bassmann, Rhodos 2015. Beitragsbild und Beitragshintergrundbild (siehe Frische Linsenkunst): Betty Schmidt, Olivenbaum / 02, Rhodos, 2015.
Autor: Bernd Donabauer