Tutorilinos #02

Idee Licht Farbe Bewegung Verfügbares Licht
Lichtmalerei Flächenlichter Spitzlichter Kernschatten Schlagschatten Grundlagen
Einstellungen Blendautomatik Manueller Modus Graufilter Kameratechnik
Künstler Heinz Teufel Tilmann Krieg Gerhard Richter Inspiration
Meditation Sehen mit allen Sinnen Augenblick erkennen Kreativübung
08.12.2016 Bernd Donabauer

Die Idee zu Deiner Fotografie

Viele, die den Weg zu Linsenkunst finden, geben als persönliche Motivation den Wunsch an, neue Wege zu beschreiten und für sich neue fotografische Ausdrucksformen zu finden. Wir begleiten unsere Linsenkünstler auf Ihrem Weg, bieten Ihnen das persönliche Gespräch, Kreativübungen, Methoden der Bildbetrachtung und klare Handlungsanweisungen zum Verständnis der zugrundeliegenden Technik. Wenn Du bereit bist den ersten Schritt zu tun, führt Dich Dein Weg durch ein unentdeckten Landes voller kreativer Energie.

Solange Du auf diesem Weg voranschreitest ist der Weg das Ziel. Manchmal gehst Du diesen Weg ruhig und bedächtig, manchmal stürmst Du voran, "wo selbst Engel furchtsam weichen". Wenn Du inne hältst, um Deinen Standort zu verorten und Dir die nächsten Schritte überlegst, braucht es ein Ziel. Kein Ziel in Form einer starren Ideologie, die Dir vorschreibt, was Du zu tun oder zu lassen hast. Ein persönliches Mantra, eine transzendente Idee, die Dich auf Deinem Weg leitet, führt und Dir auch in schwierigem Terrain einen sicheren Tritt verleiht. Eine Idee, die es Dir ermöglicht Deine Schritte zu reflektieren und die Dich dennoch nicht davon abhält, mutig neue Wege zu gehen. Die Idee zu meiner Fotografie lautet:

Alles ist Licht, alles ist Farbe, alles ist Bewegung

 

Bernd Donabauer

Die Idee zu meiner Fotografie zerbricht die Illusion der festen Materie und des bestimmbaren Standortes und zeigt das eigentliche Wesen der Welt – Wellen, Partikel, Spiegelungen, Reflexionen, Potentiale, Möglichkeiten, die grundsätzliche Unschärfe von Raum und Zeit. Sie verbindet die abendländische Ratio mit der fernöstlichen Weisheit. Diese Idee hat mich auf meinem Weg geführt, mir die einzelnen Schritte bewusst gemacht. Er hat mir die Abstraktion der Form ebenso ermöglicht, wie die Rückbesinnung auf die Form. Er leitet mich im Ausdruck meiner Gefühle. Brigittas Idee zu Ihrer Fotografie ist eine andere. Das ist gut so, denn es gibt so viele Ideen, wie es Menschen gibt.

Was ist die Idee deiner Fotografie?

Die Idee kann abstrakt sein, etwa Licht und Farbe, Metaphorik, etc., aber auch ganz konkret, wie z.B. die dokumentarische Erfassung deiner Umwelt, die Darstellung von menschlichen Beziehungen. Keine Ideen von Fotografie sind allerdings klassische Kategorien wie etwa "Landschaftsfotografie". Die Ästhetik der Form, wie Du sie auch in der Landschaft findest, ist hingegen eine Idee zur Fotografie.

Versuche Deine Idee einmal für Dich, gerne auch schriftlich, zu formulieren. Finde gelungene Beispiele dafür und begründe, warum diese Beispiel Deiner Idee der Fotografie entsprechen.

Findet sich in Deinem Archiv ein Schlüsselbild zu Deiner Idee?

Lichtmalerei

 φωτός photós, - Licht und γράφειν graphein - schreiben, malen, zeichnen: Schon die Bedeutung des Begriffs Fotografie lenkt unsere Aufmerksamkeit auf das Thema Licht. Noch bevor wir uns mit Farben und Formen, Textur und den Grundlagen der Komposition eines Bildes beschäftigen, ist es immer schon da: Das Licht. Fotografieren lernen heißt daher sehen lernen. Sehen lernen aber heißt zu lernen, das Licht zu empfinden.

Das Licht bestimmt den Charakter einer Farbe, genau genommen lässt es Farben erst entstehen, es gibt der Form die Schatten und damit ihre innere und äußere Begrenzung, es bestimmt, ob sich eine Textur weich oder hart anfühlt wenn wir unseren Blick darüber schweifen lassen, es ist die Grundlage jeglicher Komposition.

Selbst bei jenen Spielarten der Fotografie, die sich in ihrem dokumentarischen Ansatz um eine möglichst neutrale Bildwirkung bemühen, ist es das neutrale Licht als zentrales Gestaltungselement, dass diese dokumentarische Wirkung erzielt.

„Wer in dieselben Flüsse hinabsteigt, dem strömt stets anderes Wasser zu.“

 

Heraklit

In der Studiofotografie ist die Lichtsetzung durch den Fotografen eine Wissenschaft für sich, für deren Ausübung viel Erfahrung und Fachwissen benötigt wird. Im Gegensatz dazu empfinden wir das "available light", das verfügbare Licht, unserer Umgebung als bereits vorhanden, als Selbstverständlichkeit, die nur in sehr allgemeinen Grundsätzen charakterisiert wird. "Zwischen Zwölf und Zwei hat der Fotograf frei" beschreibt eine solche Kapitulation vor der unendlichen Vielfalt des verfügbaren Lichts und seiner unendlichen fotografischen Möglichkeiten.

Die Fotografie mit avaible light ist also von ähnlicher Komplexität wie die Studiofotografie, es bedarf jedoch einer völlig anderen Herangehensweise. Wir können uns ein statisches Motiv vorstellen, dass wir mehrfach zu verschiedenen Zeiten aus der exakt selben Perspektive, mit dem exakt selben Equipment und den exakt selben Einstellungen fotografieren; eines wird jedoch außerhalb der Studiofotografie immer unwiederbringbar und einzigartig bleiben - das Licht des Augenblicks.

Warum ist der Himmel blau?

Licht ist die Dualität von Welle und Teilchen. Es vereint die Eigenschaften von beiden, ohne das eine oder andere zu sein. Es breitet sich aus durch Raum und Zeit. Trifft Licht auf Materie, interagiert es mit der Materie, wird verwandelt und wieder abgegeben. Hierdurch entstehen die unterschiedlichen physikalischen Farben aus dem eigentlich weißen Licht. Die physikalischen Farben sind bestimmt durch ihre unterschiedlichen Wellenlängen. Die physikalischen Farben lösen in unseren Sinnenorganen unterschiedliche physikalische Reize aus.

Es ist jedoch erst unser Bewusstsein, unser für jeden Menschen einzigartiges Empfinden, dass die Farbe charakterisiert. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile: Der Himmel ist blau, weil wir in blau empfinden. Dein Bewusstsein verändert das Licht und formt daraus die Farbe des Himmels. Farbe ist von Dir wahrgenommenes Licht. Ohne Deine Empfindung gibt es keine Farben.

Das Pendel liebt die Extreme

...denn in der Mitte steht es still.

Zunächst möchte ich Dich dazu einladen Dir vorzustellen, dass Licht und Schatten keine Gegensätze sind. Tiefes Schwarz und reines Weiß sind die beiden Extreme der einen Erscheinung, die Endpunkte des Pendels, dass durch die unendliche Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten seine Bahn zieht. Es gibt in einer gelungenen Bildkomposition keine "ausgebrannten" oder "abgesoffenen" Stellen. Es gibt nur die beiden Extreme von reinem Weiß und Schwarz und das Dazwischen der von Dir empfundenen Farben.

Am hellen Tag, in dunkler Nacht

Schon am Tage ist das verfügbare Licht in all seinen Erscheinungsformen überwältigend. Seine Wirkung wird durch den Stand der Sonne, die Jahreszeit und das Wetter bestimmt. Von vielen vernachlässigt ist es die Luftfeuchtigkeit, die wesentlich darüber entscheidet, ob das Licht als hart oder weich empfunden wird. An besonderen Tagen können Myriaden von kleinen Lebewesen und Blütenstaub das Licht wie einen goldenen Schleier erscheinen lassen. Es gibt keine zwei Orte auf der Welt und keine zwei Augenblicke, in denen das verfügbare Licht das Gleiche wäre.

Das Licht durchdringt die Welt die Dich umgibt, es interagiert mit ihr und verändert sie in einer immer währenden Metamorphose.

Bei näherer Betrachtung können wir am Tag leicht zwischen Flächen- und Spitzlichter, Schlagschatten und Kernschatten unterscheiden. Das Wechselspiel von Flächenlichtern und Schlagschatten lässt Deine Bildkomposition lebendig wirken, Spitzlichter und Kernschatten hingegen setzten starke Akzente.

Wenn die Sonne ihre Bahn am Himmel zieht und sich der Tag dem Ende entgegen neigt, erfahren wir die Lichter der Dunkelheit. Irgendwo dazwischen, in klaren Vollmondnächten, gibt es jenen magischen Augenblick in dem das Licht des Tages noch und die Dunkelheit der Nacht schon ist, das silberne Licht des Mondes beides umfasst und die Lichter der Menschen wunderbare Akzente setzt.

Dann ist dieser Augenblick vorbei und die Lichter der Menschen gewinnen in der sie umgebenden Nacht die Oberhand. Stark und präsent jubeln sie in der Dunkelheit und stellen den Fotografen vor neue, ganz andere Herausforderung, als das Licht des Tages.

Licht, Farbe und Bewegung

Als Linsenkünstler stehst Du vor einer unlösbaren Aufgabe, wenn Du versuchst die Realität in einer Fotografie abzubilden. Der Versuch Raum und Zeit in das zweidimensionale Medium Fotografie zu pressen ist immer zum Scheitern verurteilt. Du kannst aber viel mehr erreichen, als die zum Scheitern verurteilte Abbildung der Realität, wenn Du durch Deine Empfindung diese Realität in etwas völlig Neues und Einzigartiges verwandelst.

Bei diesem kreativen Prozess hilft mir die Idee meiner Fotografie. Die Bewegung der Kamera während der Aufnahme verwandelt das Licht und die Farben meines Motivs in etwas Neues, in meine subjektive Empfindung von Raum und Zeit, meine Interpretation des wunderbaren und einzigartigen Augenblicks. 

Wir alle stehen auf den Schultern von Giganten: Mit der Idee von Licht, Farbe und Bewegung und der Technik der bewegten Kamera haben sich auch andere Künstler auseinander gesetzt. Etwa Heinz Teufel →, der für sich beansprucht den Begriff der gestischen Fotografie, abgeleitet von der gestischen Malerei, geprägt zu haben oder Tilmann Krieg →, der in seiner malerischen Fotografie der Dimension der Zeit nachspürt. Persönlicher, mein Weggefährte in der Anfangszeit meiner Suche, Matthias Thomsen →. Und was wären wir alle ohne die Arbeiten von Gerhard Richter →

Alle diese Beispiele sollen für Dich eine Inspiration und kein Hindernis darstellen - hast Du nicht Lust es einmal selbst zu probieren?

Für Die ersten Schritte ist ein geeignetes Motiv das Blätterdach eines Baumes am frühen Nachmittag. Deine Kamera kannst Du über die Blendenautomatik auf eine Belichtungszeit von etwa einer Sekunde einstellen. Die ISO stellst Du von Automatik auf den nativen Wert Deiner Kamera, etwa ISO 100. Ein Graufilter erweitert Deine Möglichkeiten. Nun lasse Deine Empfindung von Raum und Zeit, Licht und Farbe über eine Bewegung Deines Körpers in die Kamera fließen.

Wenn die blaue Stunde beginnt und damit das Licht der Menschen an Bedeutung gewinnt, wird die Herausforderung noch spannender und vielfältiger. Beim "Reverse Lightpainting" versagt am Ende sogar die technischen Hilfestellung der Belichtungsmessung Deiner Kamera im manuellen Modus. Als erfahrener Fotograf musst Du Deine Kamera als individuelles Instrument verstehen und beherrschen, Deine Komposition aus starken Flächen- und Spitzlichtern erahnen und die Ergebnisse intensiv prävisualisieren. Spätestens bei dieser Aufgabe ähnelt Deine Kamera einem Musikinstrument, auf dem es zu spielen gilt und nicht mehr einem Gerät, dass im Rahmen seiner technischen Parameter bedient wird.

Die Sonne auf Deiner Haut

Das Licht in seine verschiedenen Erscheinungsformen zu charakterisieren und die Gegebenheiten vor Ort zu analysieren ist eine Sache. Das im Augenblick der Aufnahme vorhandene Licht in all seiner Vielfalt  zu empfinden und diese Empfindung in das Medium Fotografie zu übertragen eine ganz andere.

Wollen wir gemeinsam eine kleine Übung dazu angehen?

Dabei hilft uns das Licht in all seinen Erscheinungsformen, kann es doch über weit mehr als nur unseren Sehsinn erfahren werden. Wenn wir die Augen schließen und erfrischende Kühle eines Schattens oder das sanfte prickeln des Sonnenlichts in einem heißen Sommertag auf unserer Haut spüren, erfahren wir einen Teil des Lichtspektrums ganz direkt mit unserem Tastsinn. Das ist der erste, noch einfache Schritt, den Du ohne die Vorurteile Deines Verstandes gehen kannst. Nun musst Du ein wenig Vertrauen haben, um mir auf dem weiteren Weg zu folgen.

Wenn wir unsere Augen schließen und tief einatmen, können wir das Licht nach einem kurzen Regenschauer im Juli oder an einem trüben Nebeltag im November riechen. Vor unserem inneren Auge materialisiert das zu dem Duft dazugehörige Licht durch unsere Vorstellungskraft. Wenn wir unsere Augen schließen und das plätschern der salzigen Wogen des Meeres in fernen Ländern oder eines kleinen Baches gleich in der Nachbarschaft lauschen, können wir uns die kleinen tanzenden Spitzlichter auf den Wellen vorstellen und so das Licht hören. Wenn wir die Augen schließen und in einen Apfel beißen, können wir das Licht des Sommers schmecken, all die sonnendurchflutenden Stunden des Tages die notwendig waren, um die Süße und Säure der Frucht reifen zu lassen.

Fotografie ist immer auch eine Meditation über das, was sein könnte. Wenn wir uns eine Szene in unserer kreativen Fantasie vorstellen können, dann wird diese Szene auch irgendwann vor unseren Sinnen materialisieren. Die meditative Übung befähigt uns diesen Augenblick zu erkennen. Wenn wir uns vorstellen können, wie das Licht nach einem Gewitterregen duftet, dann wird sich feste Materie im Licht dieses Augenblicks in duftende Wolken auflösen, wie die Regentropfen in der Frühsommersonne.

Credits

Autor: Bernd Donabauer

Bildquellen von oben nach unten:

Mischmaschine am Fenster, Rhodos 2009

Kleine Fluchten zurück ins Leben //34, Pfungstadt 2012

 

Traumschloss //02, Ober-Ramstadt 2012

From Inside Out, Rhodos 2015

Danae, Rhodos 2016

Illuminata // 05

Nach dem Regen, Ober-Ramstadt 2011

Beitragsbild: Kleine Fluchten zurück ins Leben //34, Pfungstadt 2012

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