Linsenkunst trifft Sigmar Polke

Sigmar Polke - Alchemie und Arabeske

Ein Hauch von Vorfrühling weht durch Baden-Baden, als wir uns dem Museum Frieder Burda nähern. In der Oos puddelt ein Entenpaar im Wasser und unter den mächtigen Bäumen des Kurparks blinzeln die ersten Frühblüher dem blauen Himmel und der Sonne entgegen. Brigitta ist einmal mehr sehr gut vorbereitet und hat sich in das Thema der heutigen Ausstellung eingelesen. Ich tapse neben ihr her und bin gespannt auf die Eindrücke und Erlebnisse, die uns erwarten.

Das Museum Frieder Burda widmet Sigmar Polke eine Einzelausstellung, welche das vielfältige Werk Polkes repräsentiert: Großformatige Malereien, Zeichnungen, Fotografien, Collagen und nicht zuletzt der legendäre „Apparat, mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann“, auf den wir später noch zurück kommen.

Sigmar Polke, zeitweiliger Weggefährte von Gerhard Richter, Mitbegründer des "kapitalistischen Realismus", Pop Art ohne Leichtigkeit, der Schreck aller Journalisten, Meister der Ironie, gesteigert bis hin zum Sarkasmus - eines können wir schon vorab sagen: Heute werden wir gefordert.

Trotz der frühen Stunde ist schon mächtig etwas los im Eingangsbereich des Museum Frieder Burda. Wir ergattern noch ein Schließfach und versichern uns, dass wir im ganzen Haus fotografieren dürfen. Die Mitarbeiter des Museums begegnen uns wie erwartet freundlich und kompetent - es ist ja nicht unser erster Besuch in Herrn Burdas guter Stube.

Wir betreten den ersten Saal und ich werde fast erschlagen von all den großformatigen und hoch aufgehängten Werken. Wir ergattern einen Platz auf einer der Sitzbänke, von wo aus wir uns in Ruhe orientieren und uns so langsam in Polkes Werk einsehen.

Unser Blick bleibt an einem großformatigen Bild haften, dass eine Schwimmbadeszene zeigt. Vielleicht ist es die leicht zu erfassende Gegenständlichkeit der Zeichnung, vielleicht die Reminiszenz an die US-amerikanische Pop Art, die entfernt an Roy Lichtenstein erinnert - dieses Bild erleichtert den Einstieg ungemein.

Die roten und braun-ockerfarbene Flächen und die mit hartem Duktus gesetzten Pinselschläge der schwarzen Zeichnung lassen die unverbindliche Leichtigkeit der US-amerikansichen Pop Art schnell vergessen. Oh nein, hier erfolgt ein europäischer, ein sarkastischer Blick auf die Zwänge und Verletzungen des alltäglichen Glücks. 

Als nächstes nähern wir uns in verschiedenen Abständen zwei Bildern aus der Alchemie: wundersame Farbverläufe, metallisch glänzende Schleier und allerlei Eigenleben offenbart sich bei der näheren Betrachtung. Geht man weiter weg, so dominieren die über den Farbgrund gelegten Linien, die sich in verspielten Schnörkeln verlieren.

Brigitta steht etwas fassungslos vor der sanft verlaufenden Abstraktion der Farbflächen und den darauf hart applizierten dunklen Linien und wir stellen Mutmaßungen über die Bedeutung bewusstseinsverändernder Substanzen in der Kunst im allgemeinen und bei der Entstehung dieser Bilder von Polke im speziellen an. Es zeichnet sich das heutiges Thema unserer zum Teil hitzigen Diskussionen ab: Was ist Kunst oder wann ist Kunst und wie schichtet man gekonnt.

Aber zunächst heißt es selbst mit Genuss und Freude eine kleine Performance zu starten und was würde sich hier besser eignen, als der wunderbare "Apparat, mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann". Wir beobachten schon eine Weile, wie Kinder mit großen Augen die sich drehenden Kartoffeln beobachten, und wie Erwachsene etwas ungläubig auf die Maschine schauen. Zur großen Erheiterung des anwesenden Publikums und der Museumsmitarbeiter verwandeln wir uns in eine mächtig dicke, ruhende und eine anmutig bewegte Kartoffel.

Auf unserer Linsenkunst-Facebook-Seite haben wir um Vorschläge für einen Titel gebeten und können uns nur schwer zwischen unseren beiden Favoriten "Metamorphose der Solanum Tuberosum" und "Vertreibung des Kartoffelkäfers aus dem Paradies" entscheiden.

Brigitta und ich schlendern durch den großen Saal und die übrigen Räume, wir schauen die Werke aus Stoff und auf Leinwand, teils von transparenter Leichtigkeit und teils von prägnanter Schwere, manche mit bedeutungsschwangerem Inhalt und einige mit ironischer Abstraktion.

Immer wieder beschäftigen uns die über den Farbflächen, dem Stoff und der Malerei aufgebrachten schwarzen Linien und nach einer Weile platzt es aus Brigitta heraus:

"Mit diesem unmotivierten schwarzen Liniengekrickel kann ich nichts anfangen. Es hat überhaupt nichts mit den weiteren untergelegten Schichten zu tun. Was bitte soll das? Schichtungen sollten eine Aussage verdichten, hier sehe ich lediglich eine Extra-Schicht, die sich auf jedem beliebigen andern Bild genauso gut oder  genau so schlecht einfügen würde! Das erinnert mich an die Schulbank im Chemie-Saal und die von gelangweilten Schülern in die Tischplatte eingeritzten Symbole und Sprüche!"

Ich entgegne:

"Das scheint mir die Frage nach was ist Kunst und wann ist Kunst. Du siehst hier das fertige und für sich stehende Werk und das durchbricht deine Sehgewohnheiten. Das Gezeigte widerspricht zudem deiner eigenen Arbeitsweise der durchdachten Konstruktion. Ich sehe hier vor allem den Prozess, der zu diesem Werk geführt hat und der sich in der Wahl der Materialien noch fortsetzt. Was hier zählt ist der Rausch des Augenblicks und der lange Atem der Veränderung."

Während wir weiter durch die Räume der Ausstellung gehen und uns die verschiedenen Werke aus den verschiedenen Schaffensperioden anschauen, die Malereien, Zeichnungen und Fotografien genießen und die Besucher beim Beobachten beobachten, spinnt sich diese Diskussion zwischen uns weiter fort. Selten waren wir in einer Ausstellung so unterschiedlicher Ansicht. Wie gesagt, diesmal hat uns "Sonntags im Museum" einiges abverlangt.

Credits

Autoren und Mentoren:

Bernd Donabauer
Brigitta Fiesel

Bild- und Video-Quellen von oben nach unten:

Bernd Donabauer, Beitragsbild, Baden-Baden, 2017

Bernd Donabauer, An den Ufern der Oos, Baden-Baden, 2017

NN, Sigmar Polke, Kunsthalle Hamburg. Veröffentlicht unter: https://www.youtube.com/watch?v=VKsl92030H8. Stand: 26.03.2017

Pressemappe Museum Frieder Burda, Sigmar Polke, Atemkristall, Baden-Baden, 2017

Bernd Donabauer, Museumsbesucher // 01, Baden-Baden, 2017

Bernd Donabauer, Von Maschinen und Menschen, Baden-Baden, 2017

Pressemappe Museum Frieder Burda, Ausstellungsansicht Sigmar Polke - 3, Baden-Baden, 2017

Pressemappe Museum Frieder Burda, Ausstellungsansicht Sigmar Polke - 7, Baden-Baden, 2017

Brigitta Fiesel, Bernd Donabauer, Homage an den Kartoffelapparat, Baden-Baden, 2017

Pressemappe Museum Frieder Burda, Sigmar Polke, Nach Altdorfer, 1986. The Estate of Sigmar Polke, Koeln, VG Bild-Kunst, Bonn, 2016

Bernd Donabauer, Museumsbesucher // 02, Baden-Baden, 2017

Bernd Donabauer, Museumsbesucher // 03, Baden-Baden, 2017

Linsenkunst empfiehlt

 

 

Der Kurator Helmut Friedel und Frieder Burda haben hier gezaubert -

eine so umfassende Ausstellung über Sigmar Polke wird es wohl lange Zeit nicht mehr zu sehen geben.

Begegnet man dem Werk mit einem hintergründigen, dem  Künstler und seinen Werken eigenen Humor, entspannt sich ein prickelndes Kunsterlebnis für die ganze Familie

Prädikat: Besonders wertvoll

 

 

Für die Anreise

Die Tiefgarage „Kongresshausgarage“ (den Beschilderungen Richtung brauner Parksektor folgen) liegt in unmittelbarer Nähe zum Museum. Zu Fuß geht es ein paar Schritte durch den Kurpark.

 

Karten

Die Eintrittskarte für die Ausstellung kostet für Erwachsene 13 Euro. Für 18 Euro erhält man das Kombiticket, mit dem man sowohl das Museum Frieder Burda als auch die Kunsthalle Baden-Baden besuchen kann.

 

Für Fotografen

Das Fotografieren für private Zwecke ist erlaubt.

 

Nach der Ausstellung

Die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden hat ein nettes Café, das auch vom Museum Frieder Burda aus trockenen Fußes zu erreichen ist. Bei kleinen Gerichten und großen Kuchenstücken sitzt man hier schön und kann die Ausstellungen reflektieren oder in einem der café-eigenen Ausstellungskataloge schmökern.

 

Museum Frieder Burda

Lichtentaler Allee 8 b
76530 Baden-Baden
T +49 7221 39898-0
www.museum-frieder-burda.de

 

Öffnungszeiten

Montag geschlossen
Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr
Feiertags (auch Montag) geöffnet
24.12. und 31.12. geschlossen

Alle Angaben ohne Gewähr

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